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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 634

Säbelhalbarte, deutsch, im Stile des 17. Jahrhunderts, Arbeit 3.Viertel 19.Jahrhundert .

Lange Spitze in Form einer Säbelklinge (Länge 74 cm), die leicht gebogene Rückenklinge weist beidseitig unterhalb des Rückens Hohlschliffe auf und wird gegen den Ort zweischneidig und breiter ( Breite 3 – 3,8 cm). Die längere obere Blatthälfte ist zugespitzt, konvexe Schneide,breiter Halsansatz mit gebogener Ober- und Unterkante. Klinge und Blatt münden in eine lange, massiv gearbeitete, konische Vierkanttülle deren Kanten gebrochen sind. An der Tüllenbasis eine zentral platzierte Befestigungsniete (Länge des Halbarteneisens, Ort – Tüllenbais, 113 cm). Der Achtkantschaft wird im oberen Teil durch vier Schaftbänder (Länge 53/54 cm, Breite 1,7 cm) verstärkt, die jeweils mit fünf Nägeln befestigt wurden. Die nicht mit dem Halbarteneisen verbundenen Bänder werden teilweise von der Tülle bedeckt. Achtkantschaft.

Gesamtlänge: 276 cm Gewicht: 3,7 kg.
Provenienz: Antiquar Joho, Obergrund, Luzern 1952, vorher Galerie Fischer, Luzern 10.5.1939, Nr.34, aus Slg.W.R.Hearst, New York - St.Donats Castle/California, USA.

Kommentar

Die in der zur Zeit massgeblichen waffenkundlichen Literatur als «bayerische Säbelhalbarte» bezeichnete Stangenwaffe zählt zu den eindrücklichen Objekten jeder Waffensammlung. Deren Authentizität und Tauglichkeit zum Kampf darf jedoch mit einer gewissen Berechtigung angezweifelt werden. Die wenig handliche Waffe ist sehr lang, schwer und schlecht ausbalanciert. Sie lässt sich nur unter Einsatz beträchtlicher Kräfte zielorientiert führen, Länge und Kopflastigkeit verunmöglichen das für die Handhabung einer Halbarten notwendige Schwingen. Den Platz der bei den Halbarten des 16./17.Jahrhunderts üblichen vierkantigen oder zweischneidigen Stossspitze nimmt eine Säbelklinge ein. Stösst die fragile Klinge auf einen festen Widerstand so besteht die Gefahr dass sie verbogen wird oder abbricht. Für die beiden typischen Kampffunktionen der Halbarte, Hieb und Stich, ist die Säbelhalbarte denkbar ungeeignet.

In seinen in mehreren Folgen publizierten Beiträgen, «...zur Geschichte der Bewaffnung im Mittelalter», stellte der Direktor des Germanischen Museums in Nürnberg, August O.Essenwein, im Dezember 1881 einige Halbarten in Museumsbesitz vor. Weil er zur Illustration objektgetreue Zeichnungen beisteuerte kann die Waffe Nr.8 als «Säbelhalbarte» identifiziert werden.. Essenwein liefert als erster eine Beschreibung dieser Waffe, die er typologisch als zu den Halbarten gehörig betrachtet. Zur Provenienz schreibt er: « Das Stück kommt aus Augsburg, wo sich eine grössere Zahl ähnlicher [ Waffen] im Zeughause befand, und gehört schon der Zeit Karl V. [reg.1519-1556] an, reicht also eigentlich auch schon über den Rahmen unseres Aufsatzes hinaus». Weil das «goldene Zeitalter» von Augsburg mit der von Kaiser Karl V. geprägten Epoche zusammenfiel und Essenwein der Meinung war, dass die ungewöhnliche Waffe aus dem städtischen Zeughaus von Augsburg stamme, dürfte er diese für das Museum erworben haben. Seine Datierung der Waffen ins 2.Viertel des 16.Jahrhunderts lässt sich nach einer Konstruktions- und Funktions- Analyse des Objekts nicht aufrecht erhalten. Wenn man gemäss aktueller Usanz die Waffe dem späten 17.Jahrhundert zuordnet, so wäre folgerichtig davon auszugehen, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt als von Essenwein angenommen in Augsburger Zeughausbesitz gewesen sein müsste. Ein Konsens bezüglich der Bezeichnung , der Provenienz und der Datierung der «Säbelhalbarte» lässt sich, wie in der Folge aufzuzeigen ist, erst um 1900 feststellen.

So erscheint sie im Auktionskatalog von 1888 zur Sammlung A.Ullmann, München, als «Sturmsense» oder «Cracovienne» und wird ins 15.Jahrundert datiert. Zur Erinnerung an die behelfsmässig mit Sensen bewaffneten polnischen Aufständischen und den Untergang des ehemaligen Freistaates Krakau 1846 dürfte die offensichtlich noch wenig bekannte Waffe den Zunamen, «Cracovienne», erhalten haben. Auch anlässlich der Versteigerung des zweiten Teils der Slg.Ullmann 1891 wurde eine weitere «Cracovienne» angeboten. Als 1904 die grosse und bekannte Waffensammlung von Karl Gimbel in Berlin verkauft wurde, erscheint die «Cracovienne» im Katalog schlicht als « Hellebarde vom Ende des 16.Jahrhunderts mit geschweiftem Beil und langer Säbelklinge». Hans Müller-Hickler, der 1909/11 seine «Studien über die Helmbarte veröffentlichte, schreibt zur Säbelhalbarte: «Statt der Spiessklinge ist eine Säbelklinge angeordnet. Bei 1 [ Abbildung ] der sog. Schaffhauser Helmbarte sollte man über die ganze Einsicht verwundert sein, denn sie stammt offenbar aus guter Zeit des Anfangs des XVI.Jahrhunderts». Obschon Müller-Hickler einräumt, dass die Säbelhalbarte nicht «auf Schweizer Boden gewachsen» sei, liefert er für die Zuweisung der Waffe nach Schaffhausen keine Begründung.

Erst im opulenten Auktionskatalog zur Waffensammlung des Münchner Baumeisters Max Kuppelmayr von 1895 wird der Bezug zu Bayern hergestellt: «Nr.400 Kriegssichel, 1690-1730, mit langer, säbelartiger Klinge, nebst grossem Beile an vierkantiger Tülle und dem Originalschafte. Vom Fussvolke Max Emanuels . Aus dem kgl.bayer.Arsenal zu München». Kuppelmayr besass zwei «Kriegssicheln», sie erzielten in der Auktion je 150.-Reichsmark. Die «Kriegssichel» oder Säbelhalbarte gehörte nach 1905 auch zu den Beständen des 1879 von Ludwig II. auf Antrag des Kriegsministers von Maillinger gegründeten bayerischen Armeemuseums. Das Museum war anfänglich im Zeughaus München untergebracht und befand sich ab 1905 in dem neu errichteten Museumsmonumentalbau am Hofgarten. In der neugestalteten Ausstellung des Armeemuseum dienten eine Serie von ca.sechzig Säbelhalbarten als martialische Kulisse in einem Raum der dem Kurfürsten Max Emanuel (reg.1680 – 1726), dem populären Türkenbezwinger vor Belgrad 1688, gewidmet war. In dem von Hans Fahrmbacher 1906 verfassten Museumsführer wird auch auf die Säbelhalbarte eingegangen: « Eine ausnehmend seltsame Form von Stangenwaffen weisen (42-71) und (218 - 249) auf, über deren Entstehungsgeschichte, obgleich unzweifelhaft auf heimatlichem Boden wurzelnd, sich leider die Akten völlig ausschweigen. Vermutlich sind es die Säbelhelmbarten, mit denen man vor Belgrad im Jahre 1717 die ersten Glieder der stürmenden Infanterie zum Wegräumen der türkischen Verhaue ausgerüstet hatte». Nachdem man anfänglich in Sammler- und Museumskreisen bei dieser ungewöhnlichen Stangenwaffe hinsichtlich der Bezeichnung, auch herkunfts- und altersmässig, ziemlich ratlos war, Datierungen ins 15./16. Jahrhundert und Lokalisierungen nach Augsburg, Krakau und Schaffhausen kursierten, wurde mit dem Auktionskatalog Kuppelmayr und dem Museumsführer von Fahrmbacher die «bayerische Säbelhalbarte» etabliert. Es war auch Fahrmbacher der den Begriff «Säbelhalbarte» in die historische Waffenkunde einbrachte.

Die sozusagen «museumsgestützte» Zuschreibung und Datierung wurde von der Sammler- und Fachwelt gut aufgenommen. Beim Verkauf der ehemals in der Festung Hohenwerfen ausgestellten Waffensammlung des Erzherzogs Eugen 1927 in New York führte der als Experte zugezogene Waffenkurator des Metropolitan Museums N.Y., Bashford Dean (1867 - 1928), die Säbelhalbarte unter Nr.1107 als «Bavarian war sickle, 17th Century...Arm of Maximilian Emanuel’s infantery, Rarissimum», auf. Die 1906 von Fahrmbacher geäusserte Vermutung, die von Bashford Dean als «Kriegssichel» bezeichnete Säbelhalbarte sei bayerischen Ursprungs und stamme aus der Regierungszeit des Kurfürsten Max Emanuel wandelte sich somit innerhalb von gut zwanzig Jahren zu einer in waffenkundlichen Fachkreisen anerkannten «Tatsache». Eine andere Provenienz und Benützergruppe brachte Anita Reinhard, welche die Stangenwaffen für den 1963 veröffentlichten Katalog der C.Otto von Kienbusch bearbeitete, ins Spiel. Die ehemalige Mitarbeiterin von Bashford Dean datierte die jetzt als « Bavarian Saber-Halberd» erfasste Waffe ins 17.Jahrhundert und liefert dazu den folgenden Kommentar: «This type of weapon was carried by the civic guard of Munich. The old Munich arsenal have had a considerable stock of thes arms at one time, for today a large group still remains in the Bayerisches Armeemuseum, notwithstanding the disposal of a member in the 1880’s and again after the first world war». Die Zuschreibung von Anita Reinhard lässt sich wie eine Anfrage beim bayerischen Armeemuseum ergab quellenmässig nicht belegen. Über die Provenienz der in der Sammlung vorhandenen Säbelhalbarten konnte das Museum keine stichhaltige Auskunft geben (Direktor Dr.Erwin Schalkhaußer). Die Säbelhalbarte gehört als eine historisierende Stangenwaffen-Neuschöpfung aus dem 3.Viertel des 19.Jahrhunderts zu einer Gruppe von Stangenwaffen die aus der gleichen noch unbekannten Werkstatt stammen deren Produkte ähnliche Fertigungsmerkmale aufweisen.
(Fortsetzung folgt)


Literatur: Seitz, Blankwaffen II op.cit., S.218. The Kretzschmar von Kienbusch Collection of Armor and Arms, Princeton 1963, S.237, Nr.547. Hans Müller-Hickler, Studien über die Helmbarte, in Zeitschrift für historische Waffenkunde, Bd.5, Dresen 1909/11, Graz 1972 (Reprint), S.278, Fig.V, Abb.1, S.284. Auktionskataloge Slg.A.Ullmann in München, Kriegs- und Jagdwaffen..., Firma J.M.Heberle (H.Lempertz Söhne) Köln, 1.Teil, 25.Oktober 1888, Nr. 124, 2.Teil, 16.November 1891, Nr.118. Auktionskatalog Waffen- und Kunstslg. Max Kuppelmayr, J.M.Heberle (H.Lempertz Söhne) Köln, München, 26.-28.März 1895, Nr.400. Auktionskatalog Waffenslg.Karl Gimbel – Baden-Baden, Firma Rudolf Lepke’s , Berlin 30.Mai –3.Juni 1904, Nr.729. Kaspar Braun, Das Landwehr-Zeughaus in München, München 1866, S.24-25, 49-51. Hans Fahrmbacher, Das königlich bayerische Armeemuseum, München 1906, S.62-63. Michael Pfanneberg, Europäische Stangenwaffen – die bayerische Säbelhelmbarte, Trabantenstück oder Kampfwaffe, in : Deutsches Waffenjournal, Nr.6, 2004, S.56 -58. A.Essenwein, Beiträge aus dem germanischen Museum zur Geschichte der Bewaffnung im Mittelalter, in: Anzeiger für Kunde der Deutschen Vorzeit, 28.Jg.,1881, Nr.12, S.348, Fig.8.