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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 389

Degen, möglicherweise für die Weltausstellung in Paris 1867,
französisch, um 1867

Verschraubtes Eisengefäss, aus gegossenen, ziselierten und durchbrochen gearbeiteten Teilen zusammengesetzt. Hochgestellter, walzenförmiger Knauf von ovalem Querschnitt, in der Mitte beidseitig herausragende Noppen mit Männerfratzen. Auch die Vorder- und Rückseite des Knaufs weisen einen reliefierten Dekor auf. Vorderseite – eine geflügelte, stehende Frau mit verbundenen Augen in einem langen, antiken Gewand, in der rechten Hand eine Krone und einen Flegel mit zwei Ketten, in der Linken einen Blumenstrauss haltend. Mehrere kleinfigurig dargestellte Menschen versuchen emporzusteigen und die Krone zu erlangen. Neben der weiblichen Gestalt, unten rechts, Darstellung eines Rads auf welchem ein Mann mit einem Stab sitzt. Rückseite – Hl. Georg zu Pferd im Kampfe mit dem Drachen. Grosse, halbkugelförmige Verschlussschraube. Der Griffbügel mündet in die Parierstange, symmetrisch angelegter, goldtauschierter Blattrankendekor, gefolgt von zwei geschnittenen Genien, welche die obere und die untere Hälfte des Griffbügels einnehmen. Die Arme der Parierstange von ovalem Querschnitt mit einem Zierhakenpaar sind etwas ortwärts gebogen und enden in Fischköpfen. Links und rechts der sockelartigen, beidseitig von leeren Schilden bedeckten Parierstangenbasis sitzen als Schildhalter je eine plastisch geschnittene Frauengestalt in langem Gewand. Zwischen den Frauen, unter den Schilden, liegt ein angeketteter Löwe. Die Kette sowie ein Zirkel werden von der Frau zur Rechten gehalten. Neben der Frau zur Linken liegen zwei Giesserei- oder Schmiedewerkzeuge, Blasbalg und Gusskessel. Das Stichblatt besteht aus zwei gleich grossen, nierenförmigen Hälften mit rahmenartig gefasstem, durchbrochen gearbeitetem Dekor. Auf der linken Stichblatt-Innenseite zwischen Akanthusblättern, links des Maskarons – ein Knabe mit Schild, rechts – gefolgt von einem Knaben mit Speer. Rechte Hälfte ähnlich, links – Knabe mit Horn, der zweite mit Schwert. Auf der Aussenseite des Stichblattes dominiert das Akanthusmotiv. Alle Gefässteile weisen einen feinen, goldtauschierten Blattrankendekor auf, verbleibende Flächen mit Goldpunkten bestreut. Griff mit Kupfer- Eisendrahtwicklung, Türkenbünde.
Zweischneidige Klinge (Länge 105,3 cm, Breite 2,3 cm), rhombischer Querschnitt, im ¬Ansatzbereich tiefe Mittelhohlschliffe.

Gesamtlänge: 125,5 cm, Gewicht (ohne Scheide): 1105 g
Provenienz: Antiquarin Pia Wettstein, Zürich 1960.

Kommentar

In vielen Ländern Europas ging man zu Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts dazu über in «Kunst- und Industrieausstellungen» (auch als «Gewerbeausstellungen» bezeichnet) künstlerisch-handwerkliche sowie industrielle Produkte einem breiten Publikum vorzustellen. Eine Jury beurteilte die Exponate, zumeist erhielten prämierte Aussteller Preisurkunden und Medaillen. Mit Katalogen und Zeitungsberichten wurde für die nötige Publizität gesorgt. Mit derartigen Ausstellungen hofften die Veranstalter, «Kunst, Kunstsinn, Geschmack und Industrie», vor allem aber den Erfindergeist anzuspornen und zu fördern.
Die Kunst- und Industrieausstellungen des frühen 19. Jahrhunderts gipfelten in der ersten vom englischen Prinzgemahl Albert geförderten Weltausstellung, die 1851 mit grossem Erfolg in London durchgeführt wurde. Napoleon III., seit Dezember 1852 Kaiser der Franzosen, eröffnete nach dem siegreichen Abschluss des Krimkriegs in Paris 1855 eine zweite Weltausstellung, welche defizitär endete. Es folgten weitere Weltausstellungen in London 1862, in Paris 1867, 1878, 1889 und 1900 sowie 1873 in Wien. Die ausstellenden Firmen, Handwerker und Künstler bemühten sich, diese Grossanlässe mit möglichst qualitätsvollen, eindrücklichen Erzeugnissen, zuweilen ganzen Installationen, zu beschicken. Für die Entwicklung des Kunstgewerbes und die Verbreitung des Historismus in seinen vielen Varianten waren die Weltausstellungen von entscheidender Bedeutung. Zu den Teilnehmern zählten auch Büchsenmacher und Griffwaffenhersteller aus ganz Europa. So erhielt als einziger von elf Schweizer Waffenausstellern Valentin Sauerbrey aus Basel 1851 in London eine Medaille. Die hochwertigen Schuss- und Griffwaffen des Historismus, wie sie an den Ausstellungen gezeigt wurden, waren bisher noch nicht Gegenstand einer umfassenden Untersuchung und Darstellung. Im massgeblichen Historismuswerk von Barbara Mundt werden diese Waffen ungeachtet dominierender kunsthandwerklicher Aspekte ausgeklammert.
Leider hat der Hersteller des auf französischen Vorbildern aus der Zeit um 1650 beruhenden Prunkdegens sein Werk nicht signiert. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts machte die Eisengusstechnik gerade im Bereich des Feingusses, wie beispielsweise der Berliner Eisenschmuck belegt, grosse Fortschritte. Auch die gegossenen Teile des vorliegenden Degens stellen dem verantwortlichen Künstler und den Handwerkern ein gutes Zeugnis aus. Bei genauerer Betrachtung des Dekors offenbaren die anonymen Hersteller gegenüber der Industrialisierung eine eher kritische Geisteshaltung. Auf der Vorderseite des Knaufes lockt und droht mit verbundenen Augen der Genius des industriellen Fortschritts einerseits mit Krone und Flegel die emporsteigenden Menschen, andererseits winkt ein Blumenstrauss demjenigen, der das Rad der Technik zu meistern versteht. Wenn auf der Rückseite des Knaufs der Hl. Georg im Kampfe mit dem Drachen erscheint, so ist diese Darstellung nicht primär im religiösen Kontext zu verstehen. Erneut setzt sich der Gestalter kämpferisch mit der Problematik der Industrialisierung und den damit einhergehenden Ausstellungen auseinander, verbunden mit einem Appell an die ritterlich-christlichen Tugenden. Den bedachten, massvollen Umgang mit dem Potential, welches die Industrie beinhaltet, symbolisiert der ruhende, an eine Kette gelegte Löwe, der von einer zirkelbewehrten Frau gehalten wird. Die neben der zweiten Frau im Bereich der Griffbasis liegenden Geräte, Blasbalg und Gusskessel, machen auf die in jenen Jahren grossen Fortschritte bei der Stahlgewinnung aufmerksam, hatte doch Henry Bessemer (1813 – 1898) 1856 mit dem Gebläseofen (Bessemer Birne) ein Verfahren zur direkten Stahlerzeugung erfunden. Der Dekor des goldtauschierten Gefässes entspricht der Neurenaissance, die Wiederbelebung dieses Stils erlebte an den Weltausstellungen von 1867 in Paris und 1873 in Wien ihren Höhepunkt.
Literatur: Franz Bächtiger, Konturen schweizerischer Selbstdarstellung im Ausstellungswesen des 19. Jahrhunderts, Auf dem Weg zu einer schweizerischen Identität 1848 – 1914, S. 207/243. Karl Otto Henseling, Bronze, Eisen, Stahl, Bedeutung der Metalle in der Geschichte, Hamburg 1981, S. 82/90. Arne Hoff, 1800 – tallets dekorerede vaaben, Vaabenhistoriske Aarbøger IV b, København 1944, S. 166/184. Peter F. Kopp, Christian Reinhart, Valentin Sauerbrey in Basel 1846 –?1881, Basel 1972, S. 10. Barbara Mundt, Historismus, Kunstgewerbe zwischen Biedermeier und Jugendstil, München 1981, S. 31/36, 50/54. The Second Empire 1852 – 1870, Art in France under Napoleon III, Philadelphia Museum of Art, Katalog, Philadelphia 1978, S. 157/160. Seitz, Blankwaffen II op. cit., S. 342/343.