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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 665

Jatagan, Handschar,
osmanisch, Balkan, 1220/1805

Angel beidseitig mit Elfenbeinplatten (Walross) belegt, vierfach vernietet, Plattenenden ohrenförmig. Auf dem Griffrücken und der Unterseite verdecken schmale, dekorierte Silberschienen mit gefassten Korallen die Angelkanten, massive Griffzwinge als Abschluss. Die Griffzwinge mündet klingenwärts beidseitig in langgestreckte dreieckige Silberzierbleche, welche die Klingenwurzel umschliessen, belegt mit Filigran, kleinen Plättchen, genoppten Bändern und Korallen.
Volle, leicht geschweifte Rückenklinge (Länge 62 cm, Breite 3,3 cm), Rückenkannelüre. Feiner, im Bereich der Wurzelhälfte in Koft-gari-Technik goldtauschierter Dekor: beidseitig des von Ornamenten umrahmten Salomonsterns je eine rechteckige Schriftkartusche mit jeweils drei waagrechten Feldern. Als Abschluss dient wiederum beidseitig ornamentales Blattwerk. Inschriften: «Werk des Hadschi Nouh (oder Noah), Freund des Hadschi Omar, Sohn des Mohammad/im Jahr 1220/» (Rest nicht übersetzbar). Silberscheide über Holzkern, aus einzelnen getriebenen, gegossenen und ziselierten Teilen zusammengesetzt. Im Mundbereich vier mit tropfenförmigen Korallen besetzte, von Zierwulsten begrenzte Dekorbänder, die restlichen Scheidenflächen sind ganzflächig in Repoussé-Technik dekoriert: von Rokokovoluten umrahmte alternierende Blumenkörbe und Panoplien. Im Ortbereich alte Reparatur, gegossener Ortknopf , Phantasie-Tierkopf.

Gesamtlänge: 77,4 cm, Gewicht (ohne Scheide): 830 g, Gewicht (mit Scheide): 1770 g
Provenienz: Antiquar Siegfried Bühler, Zürich 1966.

Kommentar

Für eine 1975 vom Historischen Museum von Kroatien in Zagreb aus Anlass der Hundertjahrfeier des bosnisch-herzegowinischen Aufstandes gegen die Türkei organisierte Ausstellung wurde erstmals die im Besitze des Museums befindliche Jatagansammlung exemplarisch aufgearbeitet. Eine deutsche Übersetzung des informativen Katalogs drängte sich auf, weil die Ausstellung 1976 vom Landeszeughaus in Graz übernommen wurde. Von den 171 erfassten Jataganen sind 119 signiert und 79 datiert. Das älteste Exemplar von 1774 trägt die Signatur eines gewissen Hadschi Ibrahim, das jüngste datiert vom 6. 9. 1878. Nachdem Österreich-Ungarn gemäss Art. 25 des Berliner Kongress-Vertrages die Provinzen Bosnien und Herzegowina besetzt und zur Verwaltung übernommen hatte, wurde die Herstellung und der Verkauf von Jataganen, die 1875/76 letztmals gegen die Türken zum Einsatz gekommen waren, verboten. Gemeinsames Merkmal dieser vor allem in der europäischen Türkei bis 1878 produzierten Jatagane sind einschneidige Klingen, deren Rücken und Schneide eine langgestreckte Wellenlinie bilden, Seifert spricht von einer «doppelten Krümmung». Ein weiteres Merkmal betrifft den gespaltenen Knauf mit mehr oder weniger ausgebildeten Ohrenfortsätzen. Selbst wenn eines dieser beiden Merkmale entfällt, wird in waffenkundlichen Publikationen die Bezeichnung «Jatagan» beibehalten. Als Material für die vernieteten Griffplatten fanden Walrossbein, selten Elfenbein, Horn und Holz Verwendung. Verbreitet sind auch Ganzmetallgefässe aus Messing, Kupfer oder Silber. Den Holzkern der Scheiden bespannte man mit Leder oder ummantelte ihn mit Silber- oder Messingblech. Weil die Signaturen auf den Klingen (oder Angaben auf Scheiden) nur sehr selten Bezug auf den Entstehungsort der Waffe nehmen, müssen Zuweisungen und Regionalisierungen von Jataganen auf Grund der Schmiedetechnik, des Dekors, der festgestellten Signaturen und Inschriften vorgenommen werden. Obschon die für die Zagreberausstellung von 1975 verantwortliche Waffenhistorikerin, Marija Sercer, die für den Jatagan ebenfalls gebräuchliche Bezeichnung «Handschar» ablehnt und sich dabei u. a. ohne ersichtlichen Grund auch auf G. C. Stone (1934) beruft, haben beide Bezeichnungen ihre Berechtigung.
In seinem Standardwerk über das osmanische Militärwesen, erschienen 1732, berichtet Marsigli auch über die von den Türken verwendeten Griffwaffen. Er erwähnt den «Hangiar», eine Art Dolch, den junge Türken und einige Janitscharen auf der linken Seite in der um den Leib geschlungenen Schärpe trugen. Die gleiche Tragart ist für Jatagane bekannt, auf den Jataganscheiden fehlen daher Ringbänder oder grosse Tragringe. Von der Existenz der Jatagane hatte der gutinformierte Marsigli keine Kenntnis. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts lassen sich Jatagane mit ihren charakteristischen Horn- oder Metallgriffen, schwach oder stärker geschwungenen Klingen in der asiatischen Türkei, im Balkan, ebenso in Nordafrika nachweisen. Für das Aufkommen der eigentümlichen grossen Ohrenfortsätze liefert Dolleczek eine plausibel erscheinende Erklärung. Sie dienten für die bei diesen Völkerschaften im 18./19. Jahrhundert üblichen langen, schmalgeschäfteten Gewehren in der Art einer Musketengabel als Auflage. Die Hypothese, dass die in Luristan (Persien) verwendeten Bronzedolche mit sogenannten «Fächergriffen» (13. – 1. Jh. v. Chr.) sowie andere kleinasiatische Griffwaffen zu den Vorfahren des Jatagans zählen, bedarf nach wie vor der Beweise. Bei dem erstmals im Balkan festgestellten voll ausgebildeten Jatagan oder Handschar scheint es sich um eine eigenständige lokale Entwicklung zu handeln, die sich schon bald in allen Teilen des osmanischen Reiches grosser Beliebtheit erfreute. Holstein (1931) unterscheidet zwischen einem «Yataghan turc» und einem «Yataghan des Balkan». Für Kroatien und Slawonien lässt sich die Existenz einer jataganartigen, jedoch als «Handyar» bezeichneten Waffe mit österreichischen Quellen belegen. So bestand die Bewaffnung des 1784 von Oberst J. A. von Brentao-Cimaroli aus Einheimischen rekrutierten, 12 Kompanien starken slawonisch-kroatischen Grenz-Freikorps (zuzüglich 500 Husaren) aus: «Feuergewehr sammt Bajonnet, ungarischen Säbeln, Pistolen und Handyar». Eine erhaltene zeitgenössische Zeichnung zeigt einen Grenzerinfanteristen, in dessen Gurtschärpe eine Pistole sowie ein «Handschar» mit Ohrenknauf und wenig geschwungener Klinge stecken. Eine 1982 ausgestellte 1189/1774 datierte Waffe aus dänischem Privatbesitz ist ein weiteres frühes Beispiel eines Jatagans (Handschar). Sie ist mit einem Silbergefäss, das in kleinen «Ohren» endet, sowie einer beinahe geraden Klinge ausgestattet. In der österreich-ungarischen Armee waren die Angehörigen des 1813 aufgestellten serbischen Freikorps mit einem «uniformen» Handschar bewaffnet, wobei nur noch der Ohrenknauf an die Vorlage erinnerte. Als weitere Einheit erhielten die 1869 organisierten dalmatischen Landesschützen einen Handschar dessen Griffplatten aus schwarzem Büffelhorn gefertigt wurden. Zum Verhältnis der Begriffe «Handschar» und «Jatagan» äussert sich Eduard Wagner (1966): «Die Bezeichnung Handschar benutzten die Südslawen, gleichermassen auch die Mohammedaner der Balkanhalbinsel und Asiens. Die Bezeichnung Jatagan (Yatagan) war bei den nordafrikanischen Mohammedanern in Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten gebräuchlich».
Dänische Berichte scheinen Wagners These der nordafrikanischen Herkunft des Wortes «Jatagan» zu bestätigen. Nach Abschluss eines Abkommens zwischen Dänemark und dem Bey von Tunis zum Schutze der Handelsschifffahrt, welches Dank erheblichen materiellen Leistungen der Dänen, z. B. Waffenlieferungen und wertvollen Geschenken, 1752 zustande gekommen war, zeigte sich auch der Bey erkenntlich. Er übergab dem Gesandten einen «Goldjatagan» sowie zwei Prunksättel samt Geschirr für den dänischen König Friedrich V. (reg. 1746 – 1766). Der Eingang der Geschenke in die königliche Kunstkammer wurde am 26. November 1753 verzeichnet, darunter befand sich auch der als «Jagt-Messer» aufgeführte Jatagan. Bis 1775 als «tunesisches Jagdmesser oder Hirschfänger» in den Inventaren, erscheint das Waffengeschenk von 1752 ab 1840 in den Beständen der ethnographischen Sammlung als «tunesischer Säbel mit Jataganklinge».
Die prächtige, ganzflächig goldtauschierte Damastklinge, deren Rücken schwach, deren Schneide jedoch stark geschwungen ist, weist alle Kriterien auf, um als «Jataganklinge» bezeichnet zu werden. Der achtkantige, goldbelegte Griff endet in einem kurzen Schnabelfortsatz und entspricht nicht dem typischen ohrenbestückten Jatagangefäss. Bei der aus königlich dänischem Besitz stammenden, um 1752 entstandenen Objekt handelt es sich um die bisher älteste, in westeuropäischem Altbesitz feststellbare jataganartige Waffe. Über die Produktionsumstände oder den Produktionsort können mangels Signatur oder Vergleichsstücken keine Aussagen gemacht werden. Andererseits geht aus verschiedenen Quellen hervor, dass primär über die Klingenform definierte Jatagane in luxuriöser Verarbeitung zu Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu den bevorzugten Waffen der Machthaber der sog. Barbareskenstaaten (alte Bezeichnung für die nordafrikanischen Territorien zwischen Ägypten und Marokko) gehörten. Sie wurden Europäern als Geschenke überreicht, so z. B. 1808 dem dänischen Kommodore Georg A. Koeford. Europäische Staaten, auch Amerika, gaben ihrerseits zu Geschenkzwecken goldene, juwelenbesetzte
Jatagane im «maurischen Geschmack» in Auftrag.
Eine gute Quellenlage erlaubt es, die Entstehung eines für den Bey Sidi Hammuda von
Tunis (reg. 1782 – 1814) bestimmten Prunkjatagans in den Jahren 1801 – 1811 zu verfolgen. Hersteller des diamantenbesetzten Gefässes mit kleinen Ohren war der in Tunis tätige französische Goldschmied P. Pottier, die getriebene, goldene Scheidengarnitur lieferte ein ebenfalls ansässiger griechischer Goldschmied, die angekaufte Damastklinge stellte der dänische Auftraggeber zur Verfügung. Im Schriftverkehr um das dänische Präsent und in der Rechnung Pottiers vom Oktober 1808 über 18’350 Piaster stossen wir wiederholt auf den Begriff «Attagan», anscheinend nordafrikanischen Ursprungs. Die Dänen hatten 1805, basierend auf einer Zeichnung von Pottier, bei Nicolas Noël Boutet, Direktor der Manufaktur von Versailles, eine Gegenofferte eingeholt, die am 20. November 1805 von Boutet persönlich zu Papier gebracht mit 81’270.– Francs bedeutend höher ausfiel. In Boutets Offerte figuriert die Waffe als «Sabre monté en or».
Es scheint, dass sich in den Küstenregionen Nordafrikas bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Verwendung von jataganartigen Waffen oder eigentlichen Jataganen auf die Oberschicht, häufig Türken, beschränkte. Die dänische, eventuell auch noch andere Anfragen für Griffwaffen im orientalischen Stil veranlassten Boutet 1806 einen als «Coutelas oriental» bezeichneten Jatagan im Werte von 1500.– Francs, den man französischen Geschäftsträgern zu Geschenkzwecken für Missionen in Algerien zur Verfügung stellen wollte, zu entwerfen.
Um 1800 war der Begriff «Jatagan» in Frankreich, ebenso im übrigen Europa noch nicht oder nur wenigen bekannt. Erst die Algerienfeldzüge von 1830 – 1847 verhalfen dieser Waffe in Frankreich zu einem grösseren Bekanntheitsgrad. In seinem 1841 in Strassburg erschienenen Werk empfahl Oberst Marcy den Jatagan zur Einführung bei der Armee. Als erste reglementarische Feuerwaffe wurde der Perkussionsstutzer Mod. 1840, System M. Thierry, mit einem aufpflanzbaren Seitengewehr ausgestattet, dessen Klinge eine geschwungene Form in der Art eines Jatagans hatte. Erst im Gefolge des «Carabine d'Orléans» Mod. 1842 trat das Säbelbajonett mit Jataganklinge den Siegeszug durch die Armeen des 19. Jahrhunderts an. Das zeitgenössische Urteil eines erfahrenen Fechtmeisters und Griffwaffenspezialisten, Richard F. Burton (1884), über diese neue Beiwaffe war vernichtend: «As a bayonet it lost all its distinctive excellence: the forward weight, so valuable in cutting with the hand, made it heavy and unmanageable at the end of the musket, and none but the strongest arms could use it, especially when the thrust had to be lanced out».
Die von Frankreich ausgehende weltweite Verbreitung des militärischen Jatagans verhalf auch in der Waffenkunde dem Begriff «Jatagan» zum Durchbruch, so dass die alte osmanische Bezeichnung «Handschar» in Vergessenheit geriet. Obschon wir die Etymologie des Wortes Jatagan noch immer nicht kennen, verwenden selbst türkische Waffenhistoriker im Zusammenhang mit dieser Waffe nur noch den Begriff «Jatagan». Es ist daher verständlich, wenn man eine messerartige Prunkgriffwaffe mit walzenförmigen Griff und einer minim geschwungenen Klinge, die 1526/27 von Ahmed Tekelü für Sultan Suleiman den Prächtigen (reg. 1520 – 1566) angefertigt wurde, ebenfalls als Jatagan bezeichnet. Inzwischen haben wir Kenntnis von insgesamt vier ähnlichen Waffen, die als älteste Form des osmanisch-türkischen Jatagans eingestuft werden. Die grosszügige Anwendung des Begriffs «Jatagan» vermag aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass unsere Kenntnisse über Herkunft und Geschichte dieser Waffe nach wie vor ungenügend sind.
Ein weiterer «Hadschi Nouh» signierter, für einen Ibrahim Pascha bestimmten und 1222/
1807 datierter Jatagan befand sich 1968 in der dänischen Sammlung E. A. Christensen (Kat. Nr. 206).
Literatur: Niels A. Andersen, On some Political Gold Yatagans from Algiers and Tunis, Vaabenhistoriske Aarbøger XIII, København 1966, S. 159/226. Esin Atil, The Age of Sultan Suleyman the Magnificent, Washington 1987, S. 147, S. 152/153, Abb. 86. Boeheim, Waffenkunde op. cit., S. 279/
280. Maurice Bottet, La Manufacture d'Armes de Versailles, Boutet Directeur Artiste, Paris 1903,
S. 61. Richard F. Burton, The Book of the Sword, London 1884, S. 133/134. Anton Dolleczek, Monographie der k. u. k. österr.-ung. Blanken und Handfeuer-Waffen, Wien 1896/Graz 1970, S. 32/33. Holstein op. cit. 2. Bd., S. 227/244. Jacob, Armes blanches op.cit., S. 114/123. Ada Bruhn Hoffmeyer, Gammelt jern – E. A. Christensens Vaabensamling, Vaabenhistoriske Aarbøger XIV, København 1968, S. 222/230, Nrn. 194/202, Abb. 58. Marsigli op. cit., 2. Teil, S.12/13, Tafel VI. Moukhtar, Musée militaire Ottoman op. cit., S. 71/72. Dietrich Menz, Handschar/Yatagan, Deutsches Waffenjournal, Schwäbisch Hall 1967, Nr. 4, S. 270/272. Anthony North, Islamic Arms, London 1985, S. 24/26, Abb. 18. Anthony North, Swords of Islam, Swords and hilt weapons, London 1989,
S. 142/143. J. P. Pitous, Les Baïonnettes réglementaires Françaises, Paris 1973, S. 53/56. Judith Rickenbach, Magier mit Feuer und Erz, Bronzekunst der frühen Bergvölker in Luristan, Iran, Zürich 1992, S. 64/66, Nrn. 26/28. Recent Acquisitions: A Selection 1992/93, The Metropolitan Museum of Art, 1993, S. 20/21. Gerhard Seifert, Schwert, Degen, Säbel op. cit., S. 59/60. Seitz, Blank¬waffen II op. cit., S. 339/341, Abb. 307/308. Marija Sercer, Jatagani u Povijesnom Muzeju Hrvatske, Zagreb 1975. Stone, Glossary op. cit., S. 676/677, Abb. 66. Turgay Tezcan, Silahar, Topkapi Sarayi Müzesi, Istanbul 1983, S. 32/33, 35. Eduard Wagner, Hieb- und Stichwaffen, Prag 1966, S. 360, Tafel 75. Yatagane aus dem Historischen Museum von Kroatien in Zagreb, Katalog, Graz 1976, S. 7 ff.