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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 352

Degen, «Galadegen»,
flämisch oder französisch, Ende 17. Jahrhundert

Eisengefäss, aus geschmiedeten, teilweise durchbrochen gearbeiteten, ziselierten und silbertauschierten Teilen zusammengesetzt, Grund ursprünglich gebläut oder geschwärzt, berieben. Olivenförmiger Knauf, auf vier Seiten mit flachen Dekormedaillons, Vernietknäufchen. Der Griffbügel mündet in die Parierstange, im Mittelteil des Bügels ein längliches, spitzovales Zierstück. Der Parierarm endet in einem etwas ortwärts gebogenen, gerundeten Abschluss, zwei Griffringe. Stichblatt aus nierenförmigen Hälften bestehend. Die vier Dekormedaillons auf dem Knauf sowie die beiden Medaillons auf den Stichblatthälften sind durchbrochen gearbeitet und mit symmetrischem Blattwerk verziert. Kolbenförmiger Eisengriff durch vertikale, dreifache Perllinien mehrfach segmentiert, die so entstandenen Felder bedeckt ein einfacher Rankendekor. An der Griffbasis, vorn und hinten, je ein kleines, aufgesetztes Silbermedaillon mit Büste oder Rosette. Auch für die übrigen Gefässteile dienen tauschierte Perllinien als Rahmen oder zur Betonung von Kanten und Rändern. Der Gefässdekor besteht generell aus Ranken, Blättern, Blumen sowie einigen Girlanden.
Zweischneidige, geflammte Klinge (Länge 82,4 cm, Breite 2,4 cm), alt ergänzt, rhombisch, Mittelkannelüre bis zum Ortdrittel, einfacher Ätzdekor.

Gesamtlänge: 98,2 cm, Gewicht: 550 g
Provenienz: Galerie Fischer, Luzern, 19. 6. 1961, Nr. 146.

Kommentar

Für eine verarbeitungs- und dekormässig sehr ähnliche Gruppe von Galadegen, deren Eisengefässe ebenfalls einen silbertauschierten (in seltenen Fällen einen goldtauschierten) Dekor auf dunklem Grund aufweisen, schlug Bashford Dean 1928 vor, diese als «in the Rhenish manner» zu bezeichnen. «They date roundly 1690 – 1735». Typische, diesen Degengefässen gemeinsame Dekorelemente sind die feinen Perllinien, das dichte, häufig flächendeckende feine Rankenwerk. Im Zentrum des Knaufes, des Griffbügels und des Stichblatts werden häufig ein oder zwei, seltener drei Figuren aus der Mythologie oder Damen und Herren in zeitgenössischer, höfischer Kleidung abgebildet. Die von Dean unter der Sammelbezeichnung Degen «nach rheinischer Manier» erfassten Waffen werden in der gleichen Publikation auch als «holländisch» (Kat. Nr. 16), «französisch» (Kat. Nr. 17) sowie als «holländisch oder englisch» (Kat. Nr. 18), aufgeführt. Boccia (1975) und Boccia/Godoy (1986) folgen Dean und erwähnen abwechslungsweise Frankreich oder Holland als mutmassliches Herstellerland. In Kenntnis dieser Problematik bezeichnet die Waffenabteilung des Metropolitan Museums N. Y. in einem Katalog 1982 einen entsprechend dekorierten Degen (Kat. Nr. 58) als «Western European».
Den Schlüssel zur Lösung der Herkunftsfrage liefert möglicherweise eine Reihe von kleinen, silbertauschierten Eisenobjekten, Konfektdöschen (Drageoirs), Schnupftabakdosen, als Pulverin oder Sandstreuer verwendbare Flakons, aus der bekannten Slg. Le Secq des Tournelles in Rouen, die in identischer Verarbeitung die gleichen Dekorelemente aufweisen. Offenbar stellten dieselben Handwerker eiserne Degengefässe sowie die aufgeführten Eisenobjekte her. Ein in dieser Manier dekoriertes Flakon, von d’Allemagne als «poire à poudre» (kleine Pulverflasche für das feinere Schwarzpulver, sog. Zündkraut) katalogisiert, wurde mit der Devise «Vive le Roy» versehen und zeigt zwei vornehme Herren mit Palmzweigen, welche eine grosse, französische Krone halten. Weitere Indizien berechtigen zur Annahme, dass die Degengefässe und die übrigen gleich verarbeiteten Gegenstände in Frankreich oder einer französisch sprechenden Region, z. B. im Bistum Lüttich (Liège), produziert worden sind. Für entsprechend dekorierte Degengefässe hat Seifert schon 1968 eine flämische Provenienz vorgeschlagen.
Der Galadegen aus der Slg. Beck nimmt innerhalb der aufgezeigten Gruppe eine besondere Stellung ein. Anstelle der üblichen Griffwicklungen aus Draht ist er als einziger mit einer massiven Griffhülse ausgestattet, deren Aufbau und Dekor «architekturbezogen» anmuten. Auch die Gestaltung des Knaufs und des Stichblatts, beide mit den gleichen durchbrochen gearbeiteten Medaillons, entspricht nicht der üblichen Verarbeitung. Es handelt sich um eine originell konzipierte, möglicherweise auf zeichnerischen oder gedruckten Vorlagen beruhende Einzelanfertigung, die vor allem in Hinsicht auf das Grundmaterial, Eisen, sowie gewisse Konstruktions- und Dekorelemente mit den von Dean und Boccia publizierten Degen übereinstimmt. Als Ersatz für die Originalklinge fand eine geflammte Degenklinge aus dem ausgehenden 18. oder frühen 19. Jahrhundert Verwendung.
Literatur: Henry René d’Allemagne, Musée Le Secq des Tournelles à Rouen, Ferronnerie ancienne, Paris 1924, 2. Teil, Tafeln 253/254. Boccia, Museo Stibbert op. cit., S. 133, Nrn. 381/383, Abb. 317. Boccia/Godoy, Museo Poldi Pezzoli II op. cit., S. 455/456, Nr. 700, Abb. 775/777, S. 457, Nr. 707, Abb. 793, 795, 797. Dean, Court & Hunting Swords op. cit., S. 16/17, Nrn. 15/16, 18, Tafeln 10, 11, 13. Ray Riling, The powder flask book, New York 1953, S. 236, Nr. 27 mit Abb. Seitz, Blankwaffen II op. cit., S. 90, Abb. 95. The art of chivalry, European Arms and Armor from the Metropolitan Museum of Art, hg. H. Nickel, S. W. Pyhrr, L. Tarassuk, Katalog, 1982/84, S. 106, Nr. 58.