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im Sankturbanhof ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 524

Hirschfänger,
holländisch oder deutsch, 3. Viertel 18. Jahrhundert

Messinggefäss, aus gegossenen und ziselierten Teilen zusammengesetzt, vergoldet, berieben. Langer, gebogener Griffabschluss, in einem Löwenkopf endend. Parierstange in der Form eines liegenden, geflügelten Drachen, der sein Haupt dem löwenkopfgeschmückten Griffende zuwendet. Der gefächerte Drachenflügel dient als ortwärts gebogenes Stichblatt. Über der langen Griffbasis wurde die Angel beidseitig mit zweifach vernieteten Hornplatten belegt, die Nietstellen verdecken muschelförmige Zierrosetten.
Zweischneidige Kerisklinge (Länge 41 cm, Breite 5,8 cm), rhombischer Querschnitt, Wurzelbereich im Mittelfeld beidseitig vierfach kanneliert, gewellte Schneiden. Schwarze, belederte Scheide mit Besteckfach. Messinggarnitur ziseliert und vergoldet, Mundblech mit ornamentalem Dekor, der Stiefel endet im Ortknopf. Das Besteck besteht aus zwei Messern mit glatten, vergoldeten Messinggriffen und vollen Rückenklingen, beide mit gleicher Marke: Szepter überhöht von einem Halbmond.

Gesamtlänge: 52,8 cm, Gewicht (ohne Scheide): 585 g, Gewicht (mit Scheide): 790 g
Provenienz: Galerie Fischer, Luzern, 1. 12. 1965, Nr. 80.

Kommentar

Im Gegensatz zu den in Europa beliebten orientalischen Damastklingen (aus der Türkei und Persien) fanden malaysische Kerisklingen vergleichsweise selten für europäische Griffwaffen Verwendung. Der Keris gelangte eher als Souvenir, weniger als Handelsware mit den Schiffen der 1602 gegründeten holländischen ostindischen Compagnie (V.O.C.) nach Europa. So wurde das früheste in der Schweiz nachweisbare Exemplar eines Keris vom Berner Albrecht Herport (1641 – 1703) in Java erworben, als dieser 1659 – 1668 im Dienste der ostindischen Compagnie stand. Die von einem unbekannten Degenschmied verarbeitete Kerisklinge dürfte aus der Java vorgelagerten Insel Madura stammen (freundl. Mitteilung von M. Kerner, Kirchdorf BE). Seit der Gründung von Batavia (Djakarta) 1619 durch die Holländer und der Errichtung weiterer Militärstützpunkte auf Madura waren die Kontakte mit diesem Teil des heutigen Indonesien besonders intensiv. Der Gefässhersteller, vermutlich ein in Holland tätiger Goldschmied oder qualifizierter Gürtler, liess sich durch die geflammte, Bewegung signalisierende Klinge inspirieren und schuf mit der künstlerischen Umsetzung des Kampfes zwischen Drache und Löwe ein originelles Gefäss von adäquater Dramatik. Vergleichbare Stichblätter in Form eines liegenden Drachen oder Adlers findet man auf deutschen Hirschfängergefässen der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die wenigen bekannten Beispiele von Kerisklingen, die zu europäischen Griffwaffen verarbeitet wurden, betreffen hauptsächlich Hirschfänger, seltener Spundbajonette.
Literatur: Boccia, Museo Stibbert op. cit., S. 141/142, Abb. Nr. 340 b. Bashford Dean, The Collection of Arms and Armor of Rutherfurd Stuyvesant, 1914, S. 82, Nr. 99 mit Abb. J. Engel, Geschiedenis en algemeen overzicht van de Indonesische wapensmeedkunst, Amsterdam 1980. Holger Jacobsen, Hirschfaengere i dansk privateje, København 1983, S.62/63, Abb.26. Martin Kerner, Keris-Griffe, Katalog, Zürich 1996, S. 26, Nr. 17. Gaspard de Marval, Le Monde du Kris, Indonésie - Malaisie - Philippines, Katalog, Musée militaire vaudois, Morges 1997. Nordström, White arms op. cit., S. 221, Nr. 9. Ensiklopedi Budaya Nasional, Keris dan senjata tradisional Indonesia lainnya, Jakarta 1988.