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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 602

Glefe, «Falcione»,
italienisch, um 1610, für die Palastwache der Venier, Venedig

Langes, breites, spitzovales Blatt, als volle Rückenklinge (Länge 71 cm, Breite 6,5/10 cm) gearbeitet, Ortdrittel zweischneidig, an der Basis beidseitig je ein lilienförmiges Zierelement. Auf dem Blattrücken ein Vierkantdorn über einer flächigen Basis, deren Ränder eingeschnitten sind oder Zierelemente in der Art der Blattbasis aufweisen. Zwei Rosetten gebildet aus jeweils acht spitzovalen, um einen Mittelpunkt gruppierten Durchbrechungen dienen als Blattschmuck, eine gleiche Rosette findet sich auf dem Dornfortsatz. Die untere Blatthälfte bedeckt beidseitig ein gleicher, etwas verwischter, punzierter, vergoldeter ¬Dekor: Kartusche mit dem Wappen Venier (sechs waagrechte Balken, in der rechten oberen Ecke der geflügelte Markuslöwe), dazu einfache Ornamente, die sich auf den Rückendorn erstrecken. Achtkantige, konische Tülle, die in einen gedrückten Ziernodus mündet. Zwei Schaftfedern, Achtkantschaft, etwas gekürzt, vermutlich alt ergänzt, Messingziernägel.

Gesamtlänge: 230 cm, Gewicht (mit Schaft): 3500 g
Provenienz: Galerie Fischer, Luzern, 14. 6. 1956, Nr. 1237.

Kommentar

Mit oder ohne Rückendorn (Rückenhaken) werden diese Stangenwaffen in Italien unterschiedslos als Falcione bezeichnet (vgl. Kat. Nr. 90). Falcione mit Rückendorn oder Haken laufen in der deutschen Waffenkunde unter dem Begriff «Glefe» oder «Gläfe» (Boeheim 1890, Seitz 1968), was dem englischen «glaive» entspricht (Laking 1920, Mann 1962). Bei Buttin (1937) und anderen Autoren französischer Zunge wird der Falcione zum «Fauchard». Es empfiehlt sich jedoch, für eine Waffe, deren herstellungs- und verwendungsmässiges Ursprungsland sowie der dort gebräuchliche Name bekannt sind, diesen in unveränderter Form zu übernehmen.
Zwei weitere Falcioni mit dem Venierwappen, welche zur gleichen Serie gehören, befinden sich in der Wallace Collection, London (A 945, A 946). Die Venier haben Venedig bis zum Ende der Republik 1797 drei Dogen gestellt: Antonio, 1382 – 1400, Francesco, 1554 – 1556 und Sebastiano Venier, 1577 – 1578. Am bekanntesten dürfte der Admiral Sebastiano Venier (1486 – 1578) sein, der trotz seines Alters bei Lepanto 1571 die venezianische Flotte kommandierte. In dieser Seeschlacht unweit der griechischen Küste brachten die vereinigten Flottenverbände der Spanier, Venezianer und des Heiligen Stuhls unter dem Oberbefehl von Don Juan d’Austria, einem Halbbruder Philipps II., der türkischen Flotte eine vernichtende Niederlage bei. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts bewaffneten noch andere namhafte Familien, z. B. die «Tiepolo» oder die «Bentivoglio», ihre Palastwachen oder Leibgarden mit Falcioni, die nach Konstruktion und Dekor den Waffen der Venier entsprechen. Falcioni ähnlicher Machart findet man in Italien auch ausserhalb des venezianischen Hoheitsgebietes (Terra ferma), so am Hofe Herzog Ranuccios I. (1592 – 1622) von Parma oder in Rom für die Garde des Kardinals Scipio Borghese Caffarelli.
Literatur: Boeheim, Waffenkunde op. cit., S. 342 /344, Abb. 397/398. Boccia/Coelho, Armi bianche op. cit., S. 388, Nr. 502/503. Charles Buttin/François Buttin, Le Fauchard, Bulletin Trimestriel de la Société des Amis du Musée de l’Armée, No 46, Mars 1937, S. 120/124. Sir Guy Francis Laking, A record of european armour and arms through seven centuries, London 1920, Bd. 3, S. 104/107, Abb. 899 a. Mann, Wallace Collection op. cit., Vol. II, S. 448/449, A 945, A 946, Tafel 153. Arturo Puricella-Guerra, Il Falcione ed il Roncone, l’evoluzione di utensili agricoli in armi da guerra, Opologia Italiana No. 1 , Firenze 1983, S. 14/23. Seitz, Blankwaffen II op. cit., S. 232/237. Galerie Fischer, Luzern, 17./18. 6. 1993, Nr. 8271.