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im Sankturbanhof ausgestellt
Inv.-Nr.: S 1000

Weidpraxe, deutsch, um 1855/1860

Messinggefäss, aus gegossenen und ziselierten Teilen zusammengesetzt, vergoldet. Auf der Knaufscheibe die plastische Darstellung eines Bären, der einen Jäger zu Fall gebracht hat. Auf der Vorderseite des massiven Griffes erscheint ein jugendlicher Jäger, der in sein Horn bläst; Rückseite mit punziertem und ziseliertem Dekor. Das teilweise durchbrochene Stichblatt mit kurzen Parierstangenarmen zeigt ebenfalls in plastischer Ausformung einen von Hunden angegriffenen Keiler.
Gerade, volle, breite Damast-Rückenklinge (Länge 30,2 cm, Breite 4,7 cm), Schneide in einem kurzen Bogen in den Ort laufend, Rücken signiert: «W: CLAUBERG A SOLINGEN». Ätzdekor teilvergoldet: Vorderseite – Hund einen Hirsch jagend, links und im Hintergrund ein Baum, darüber ein Blätterornament mit Eichenlaub, Jagdhorn und Hirschfänger geschmückt. Rückseite – Hund ein Wildschwein jagend, im Hintergrund ein Baum, darüber Blätterornament mit Eichenlaub, Jagdgewehr und Jagdtasche. Die Klingenwurzel bedeckt ein breiter Streifen mit unterschiedlichen Ornamenten, das Ortdrittel der Klinge ist blank. Mit weisser Rochenhaut bespannte Scheide. Messinggarnitur vergoldet, am Mundblech seitliche Traghaken, Stiefel. Mundblechdekor: ruhender Keiler zwischen Bäumen, dazu ornamentaler Blätterdekor.

Gesamtlänge: 44 cm, Gewicht (ohne Scheide): 883 g, Gewicht (mit Scheide): 1195 g
Provenienz: Auktion Hermann Historica, München, 6. 5. 1995, Nr. 671.

Kommentar

Die Weidpraxe, auch als Weidmesser, seltener als «Plötze» oder «Blatt» bezeichnet, diente hauptsächlich zum Zerwirken des Wildes. Sie fand auch als «Standhauer» Verwendung. Für das Freischlagen des Jagdstandes und der Pirschpfade war die axtartige Waffe durchaus geeignet. Zu Ende des 16. Jahrhunderts in ihrer typischen Form nachweisbar, ist sie mit einer vollen, kurzen und breiten, im Ort spitz oder stumpf zulaufenden Rückenklinge ausgestattet. Diese in Deutschland, anfänglich vor allem in Sachsen, verbreitete Jagdwaffe wurde bis ins 19. Jahrhundert in beinahe unveränderter Form beibehalten. Häufig war die Weidpraxe Teil eines mehrteiligen Jagdbestecks, das in einer metallbeschlagenen, lederbespannten Scheide mitgeführt wurde und z. B. aus einer Praxe, Messer, Gabel, Pfriem und Ahle bestehen konnte. An den Fürstenhöfen, vom Adel allgemein, wurde mit den Weidpraxen, die oftmals wappengeschmückt das ständische Jagdprivileg dokumentieren, ein erheblicher Aufwand getrieben. Der vorzügliche Zustand der von Wilhelm Clauberg geschmiedeten Klinge, auch der Zustand von Gefäss und Scheide, geben zur Vermutung Anlass, dass es sich um eine Geschenkswaffe handelt, die nicht zum Einsatz kam. Clauberg erscheint 1847 und 1854 in der Solinger Messermacherrolle als Klingenschmied. Das um 1851 entstandene Hirschfängergefäss des Berliner Goldschmieds Johann Georg Hossauer (vgl. Kat. Nr. 43) wurde für diese Waffe von unbekannter Hand weitgehend kopiert. Unterschiedlich ist die Gestaltung der Knaufscheibe, bei Hossauer ein Keiler, hier ein Bär, der einen Jäger attackiert. Die Scheidengarnitur, eine saubere aber wenig kunstvolle Gürtlerarbeit, hält einem Vergleich mit der hossauerschen Vorlage nicht stand.
Literatur: Slg. Carl Beck, Katalog 1998, S. 48/50. J. G. Frhr. v. Bistram, Führer durch die jagdhistorische Sammlung La Roche, Museum Schloss Landshut, Bern 1984, S. 42/43. Howard L. Blackmore, Hunting weapons, London 1971, S. 56/66, Abb. 53/57. Seifert, Hirschfänger op. cit., S. 78/87, Abb. 119.