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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 375

Säbel, «Magnatensäbel», österreich-ungarisch, letztes Viertel 19. Jahrhundert

Kupfergefäss, aus getriebenen und ziselierten Teilen zusammengesetzt, versilbert und vergoldet. Vierkantige Parierstange mit konischen, gegen die Enden hin dünner werdenden Armen, grosse ovale Mittelschilde. Sechskantiger, im Knaufbereich leicht gebogener Griff, glatter, schräggestellter Griffabschluss.
Ältere, vermutlich gekürzte Rückenklinge, Ende 17. Jahrhundert (Länge 75 cm, Breite 3,2 cm), Klingenrücken beim ­Ansatz zu einem Viertel gekehlt. Klinge gegen den Ort breiter werdend, fünf Kannelüren, welche die ganze Klingenbreite einnehmen, im Ortbereich zweischneidig, auch als ­«Jelman» bezeichnet, nur noch drei Kannelüren, einseitig zwei ­gegeneinander gestellte ­«Sichelmarken». Mit dunkelrotem Samt bespannte Scheide, versilberte und vergoldete Kupfergarnitur mit ornamentaler Filigranauflage, Mundblech mit Tragring, breites Ringband, Stiefel. Gefäss und Scheide weisen einen en suite gearbeiteten, gravierten Rocaillen- und Blütenzweigdekor auf. Die Vorderseiten der Parierstange und der Garniturteile wurden jeweils in der Mitte mit einer Filigranrosette und einer von Türkisen umrahmten Perle geschmückt.

Gesamtlänge: 88 cm, Gewicht (ohne Scheide): 675 g, Gewicht (mit Scheide): 1090 g
Zugehörige Magnaten-Schmuckgarnitur samt Sporen in Kassette:

  1. Kette mit fünf durch Drahtflechtwerk miteinander verbundenen, dekorierten Scheiben, welche für den Mantel, «Mente», als Verschluss diente.
  2. Schildförmige Hutagraffe, «Forgo», für den Federstoss.
  3. 18 grosse und 18 kleine perlen- und türkisbesetzte Knöpfe für «Mente» und «Dolman».
  4. 6 kleinere, ganzmetallene und vergoldete birnförmige Knöpfe mit Stephanskronen­dekor.
  5. Zwei Gliederketten von unterschiedlicher Länge mit Hackenenden, welche zur Verlängerung oder als Verschluss verwendet werden konnten.
  6. Sporenpaar für ungarische Stiefel.

Alle Teile des Magnatenschmucks sind aus vergoldetem Silber und Silberfiligran gearbeitet; sie stimmen dekormässig weitgehend mit dem Säbel überein. Auf der Innenseite des Kassettendeckels Hersteller- oder Lieferantenangabe, «LINK F. ISTVÁN/BUDAPEST».
Separater Gurt: Ledergurt, aussen mit dunkelrot-violettem Samt, innen mit hellbeiger Seide bespannt. Auf der Aussenseite wurde ein Kettengeflecht bestehend aus silbernen und teilweise vergoldeten Teilen befestigt. Im Kettengeflecht setzte man beidseitig einer zentralen grossen Dekorscheibe in gleichen Abständen je zwei gleich verarbeitete, aber kleinere Scheiben ein. Diese fassonierten Scheiben bestehen aus einem vergoldeten Silberblech und sind mit ornamental angeordnetem Silberdraht belegt; im Zentrum befindet sich jeweils eine Perle umrahmt von Türkiscabochons. Auch auf den symmetrischen Filigranmotiven wurden Cabochons eingesetzt. Der Gurtverschluss besteht aus einem Haken und einer zwölfgliederigen Kette. Gurtlänge: 80 cm

Provenienz: Galerie Fischer, Luzern, 4. 12. 1963, Nr. 109.

Kommentar

Als Magnaten (mittellat. magnatus, Oberhaupt, zu lat. magnus, gross) bezeichnete man in Ungarn seit dem 16. Jahrhundert die Vertreter der vornehmsten Adelsgeschlechter sowie die höchsten weltlichen Würdenträger des Landes (der Palatin, der Reichs- und Hofrichter, der Ban von Kroatien, Slawonien und Dalmatien, die Obergespane der Komitate usw.), die im 19. Jahrhundert gemäss Verfassung die erste Kammer des ungarischen Landtags, die «Magnatentafel» bildeten. Neben den weltlichen nahmen auch die geistlichen Magnaten, katholische und griechisch-orthodoxe Bischöfe, ein Erzabt und zwei Priore in die erste Kammer Einsitz.

Das Magnatenkostüm verdankt seine Renaissance im 19. Jahrhundert dem nach den napoleonischen Kriegen im Kaiserreich Österreich-Ungarn verstärkten nationalen Bewusstsein. Die alten Landestrachten wurden wieder beachtet und vermehrt getragen. Die Krönung Ferdinands IV. (1793 – 1875), des nachmaligen Kaisers Ferdinand I. (1835 – 1848), in Pressburg 1830 gilt als «das entscheidende Ereignis für die Wiedergeburt der ungarischen Nationalkleidung». Älteste erhaltene Magantenkostüme in Galaausführung datieren noch aus dieser Zeit. Erst gegen das Ende des 19. Jahrhunderts verfügten die meisten adeligen Häuser Ungarns über das Nationalkostüm, sei es als Gala- oder Trauerkleid. Kostüm und Säbel wurden nur anlässlich ausserordentlicher, festlicher Ereignisse getragen. Die wichtigsten waren die Krönung Franz Josephs und Elisabeths 1867 in Buda (pest) und die Tausendjahrfeier Ungarns 1896.

Zum Magnatenkostüm gehörten der «Dolman», ein Rock mit Posamenterieverschnürung, der «Mente», ein ursprünglich knielanger, oftmals pelzverbrämter, offen zu tragender Mantel, bestickte Stiefelhosen, eine Mütze «Kalpak», und Stiefel, «Czismen». Gala- und Trauerkostüme unterscheiden sich in den Farbtönen; bei letzteren wurde Schwarz oder Dunkelblau bevorzugt. Die Materialien, Samt, Seide, Brokat, Pelz, blieben sich gleich. Die Silberknöpfe waren demontierbar und konnten weggelassen oder auf unterschiedlichen Kostümen angebracht werden. Dasselbe gilt für die Verschlusskette der «Mente», die Hutagraffe, «Forgo», Sporen, alles Goldschmiedearbeiten, die häufig in einer Kassette aufbewahrt wurden. Der Kostümcharakter des türkischen Vorbildern nachempfundenen Säbels wird durch die generell prunkvolle Ausführung dieser Waffen betont, wobei Säbelgefäss, Scheidengarnitur und Kostümschmuck vielfach en suite gearbeitet sind. Neben neuen, traditionell dekorierten Säbelklingen, fanden auch Klingen Verwendung, die von älteren ungarischen Säbeln des 17. und 18. Jahrhunderts stammen.

Zu einer vollständigen Magnatenausrüstung gehörte auch das Reit- und Sattelzeug sowie die «Waltrappe»; eine Decke die über das gesattelte Pferd geworfen wurde, wenn es während langdauernden Zeremonien etc. zu warten hatte.

Nach dem Ende des 1. Weltkriegs und dem Untergang des österreich-ungarischen Kaiserreiches wurde die Magnatentafel 1918 aufgelöst. Damit verloren auch die malerischen ­Magnatenkostüme ihre Bedeutung und verschwanden allmählich. Sie wurden zur Zeit des ungarischen Reichsverwesers, Admiral Horthy, von 1921 – 1944 bei offiziellen Anlässen nur noch selten getragen.
(Gerhard Hernach, Dietikon ZH, danke ich für die erteilten Auskünfte.)

Literatur: Brockhaus, Leipzig 1885, Bd. 11, S. 339. Georg Kugler, Herbert Haupt, Uniform und Mode am Kaiserhof, Hofkleider und Ornate, Hofuniformen und Livreen des 19.Jahrhunderts aus dem Monturdepot des Kunsthistorischen Museums Wien, Katalog, Schloss Halbturn 1983, S. 65/67, Abb. 24, S. 253/258, Abb. 78/81. Costumes à la Cour de Vienne, 1815 – 1918, Musée de la Mode et du Costume, Paris 1995, S. 83/86, Abb.70/73. Säbel aus dem Historischen Museum von Kroatien, Zagreb, Katalog, Graz 1981, S. 15, 55/58, Tafeln 1, 5/7.