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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 364

Degen, deutsch oder holländisch, um 1770/80, Offizierswaffe

Silbergefäss, aus gegossenen, ziselierten Teilen zusammengesetzt. Kugeliger Knauf, Vernietknäufchen. Der Griffbügel mündet in die Griffbasis, Parierstangenarm mit gerundetem Ende, zwei Griffringe, zweiteiliges aus nierenförmigen Hälften bestehendes Stichblatt. Der Knauf, das Mittelstück des Griffbügels, ebenso die Griffbasis und die Zwingen weisen einen Rillen- und Bänderdekor, teilweise «en torsade» auf. Griffwicklung und Griffzwingen ebenfalls aus Silber.
Zweischneidige Klinge (Länge 79,4 cm, Breite 3,7 cm), sogenannte «Colichemardeklinge», welche sich nach dem Ansatzdrittel verengt und schmaler wird. Ätzdekor mit Vergoldungsresten: Vorderseite – Heldentod Winkelrieds, der ein Spiessbündel umfasst, dazu der Kommentar «Eternum ut vivas Pro Patria Cade/Hanc Servamus Legem, signe[m] Nostram tuemur» (Falle für das Vaterland, damit du ewig lebst/Bewahren wir dieses Gesetz, beschützen wir unsere Fahne). Die anschliessende Szene zeigt den Bauern von Altsellen, der den Vogt im Bad erschlägt. Rückseite – Tell erschiesst Gessler, dazu die Sentenz «Tiranos occidere licet» (Es ist erlaubt, Tyrannen zu töten). Unter einem Baum wartet Tells Sohn Walter, zu dessen Füssen der vom Armbrustbolzen durchbohrte Apfel liegt. Die beiden Familienwappen an der Klingenwurzel liessen sich nicht identifizieren.

Gesamtlänge: 96,7 cm, Gewicht: 638 g
Provenienz: Antiquar Otto Staub, Freiburg 1962.

Kommentar

Das silberne Degengefäss besteht aus gegossenen, ursprünglich losen, jetzt fest miteinander verlöteten Teilen: Knauf, Griffbügel samt Parierstange sowie einem zweiteiligen, aus nierenförmigen Hälften bestehenden Stichblatt. Zünftische Vorschriften sicherten die Herstellung der Teile aus Edelmetall den Gold- und Silberschmieden zu, welche eifersüchtig über die Einhaltung der Bestimmungen wachten. In den Kompetenzbereich des Degenschmieds gehörten Griffstück, Klinge und Montage. Handelte es sich um eiserne Degengefässe, so war deren Fertigung dem Degenschmied erlaubt. Bereits bei der Verwendung von Messing oder Kupfer als Gefässmaterial lief ein Degenschmied mancherorts Gefahr, dass die Gürtler, die hauptsächlich mit diesen Materialien arbeiteten, Einspruch erhoben. Für die Scheiden waren wiederum die Scheidenmacher zuständig. Dieser Degen dokumentiert daher anschaulich die Probleme zünftischer Arbeitsteilung, welche bis zum Untergang des Ancien Régime die handwerkliche Produktion massgeblich prägte.
Im 18. Jahrhundert verzichteten schweizerische Degenschmiede mehrheitlich auf die Fabrikation von Degenklingen und bezogen diese zur Hauptsache aus spezialisierten Produktionszentren, vor allem Solingen, aber auch Klingenthal im Elsass, seltener Toledo oder Italien. Auch diese Klinge (Länge 79,4 cm), welche sich gegen die Mitte hin deutlich verengt und deren Form als «Colichemarde» bezeichnet wird, dürfte aus Solingen stammen. Aussergewöhnlich ist der etwas beriebene, beidseitig eingeätzte, ursprünglich vergoldete Dekor mit Szenen aus der Schweizergeschichte. Auf der Vorderseite wird der Heldentod Winkelrieds lateinisch kommentiert «Eternum ut vivas Pro Patria Cade / Hanc Servamus Legem, Signe(m) Nostram tuemur» (Falle für das Vaterland, damit du ewig lebst / Bewahren wir dieses Gesetz, beschützen wir unsere Fahne). Ein Baum trennt Winkelried von einer zweiten Darstellung aus mythischen Anfängen der Schweizergeschichte, dem zornigen Bauern von Altsellen, der den Vogt im Bad erschlägt. Die Klingenrückseite zeigt Tell, der den einherreitenden Gessler mit einer Armbrust erschiesst. Seine Tat wird durch den Spruch «Tiranos occidere Licet» (Es ist erlaubt, Tyrannen zu töten) ins rechte Licht gerückt. Unter einem Baum wartet Tells Sohn Walter auf seinen Vater, zu seinen Füssen liegt der vom Bolzen durchbohrte Apfel und erinnert an den Meisterschuss. Leider lassen sich die beiden an der Klingenwurzel angebrachten Wappen, sehr wahrscheinlich Familienwappen, nicht eindeutig identifizieren. Sie sind berieben und abgenützt. Das besser erhaltene Wappen zeigt auf einem Dreiberg eine senkrecht stehende Armbrust, auf welcher ein Vogel sitzt. Das Wappen weist eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Wappen der Basler Familie Gugger auf: in Blau auf grünem Dreiberg eine Armbrust überhöht von einem fliegenden Kuckuck. Über den Besitzer dieser Waffe können demnach nur Mutmassungen angestellt werden.
Weil im 18. Jahrhundert Sittenmandate die Herstellung und das Tragen von Degen mit silbernen Gefässen beispielsweise in Zürich, aber auch andernorts verboten, dürfte dieser Degen in einem Land entstanden und getragen worden sein, das mit derartigen Luxusgütern einen liberalen Umgang pflegte. Der offensichtlich auf Wunsch eines unbekannten Schweizer Patrioten in Auftrag gegebene spezielle Klingendekor wurde wohl nach mitgelieferten Bildvorlagen getreulich, wenn auch etwas ungelenk, ausgeführt. Das verhältnismässig grosse Degengefäss passte durchaus in die Hand eines Schweizer Offiziers in fremden Diensten. Wie aus einem zeitgenössischen Briefwechsel hervorgeht, scheinen Schweizer in holländischen Diensten eine gewisse Vorliebe für silberne Degen gehabt zu haben.
Literatur: Slg. Carl Beck, Katalog 1998, S. 32/34, Nr. 5, Farbtafel. Franz Heinemann, Tell’s Apfelschuss…, Ikonographisch-literarische Studie, Offizielle Fest-Zeitung Eidg. Schützenfest, Luzern, 1901, S. 9/17, 27/34, Abb. 9/11. Hugo Schneider, Der Schweizerdolch, Zürich 1977, S. 148/164. Schneider/Meier, Griffwaffen op. cit., S. 103. Die Schlacht von Sempach im Bild der Nachwelt, Katalog, Luzern 1986.